An dieser Stelle des Programms geht es um die Justiz als Institution. Die Justiz ist der wesentliche Pfeiler des Rechtsstaats. Als die Rechtsstaatspartei meinen wir GRÜNE es ernst mit einem resilienten Rechtsstaat. Wenn wir den Rechtsstaat gegen Anfeindungen stärken wollen, brauchen wir eine unabhängige und arbeitsfähige Justiz.
Die Justiz hat keine Lobby, und die Medien interessieren sich allenfalls für Strafprozesse. Dabei kommen die meisten Menschen nicht mit der Strafjustiz in Kontakt, sondern als Mieter, Nachbarn, Betreute, Arbeitnehmer, Unternehmer, Verbraucher, Wettbewerber, Bauantragsteller usw. – also mit allen Gerichtsbarkeiten. Aus diesen Kontakten erhalten sie ihren Eindruck davon, wie der Rechtsstaat tatsächlich arbeitet. Nur wenn die Justiz funktional ist, können wir erwarten, dass die Zivilgesellschaft hinter ihr – und damit hinter dem Rechtsstaat – steht.
Der bisherige Entwurf enthält bereits wesentliche Gedanken, bedarf aber der Konkretisierung. Die scheinbar eher technischen Details in der neuen Formulierung dieses Abschnittes sind unvermeidlich, wenn es nicht bei unkonkreten Allgemeinplätzen bleiben soll.
Einzelbegründung zu den vorgeschlagenen Maßnahmen:
1. Die Digitalisierung, die aus den Bundesmitteln des Rechtsstaatspakts gefördert wird, muss weiter vorangetrieben werden; dies dient auch dem Zugang zum Recht. Dabei geht es nicht nur um die eAkte, deren Performance weiter verbessert werden muss und deren Einführung im strafrechtlichen Bereich noch nicht beendet ist, sondern auch um KI-Lösungen als Entscheidungsassistenz für die Richterschaft. Auch wenn die Entscheidung selbst von Menschen zu treffen ist, bedarf es – auch angesichts der hohen Arbeitsbelastung der Justizangehörigen sowie der Verbreitung von KI in der Anwaltschaft – einer sinnvollen Arbeitsunterstützung im Vorfeld der eigentlichen Entscheidungsfindung. Das Land soll hier in Entwicklungspartnerschaft mit aussichtsreichen Unternehmen und/oder unter Rückgriff auf bewährte Softwarelösungen die nach derzeitigem Stand besten Anwendungen unter Wahrung der Anforderungen der Datensicherheit bereitstellen.
WLAN in allen Dienstgebäuden ist ein Gebot der Zeit, in der längst alle Verfahrensbeteiligten auf Internetquellen zugreifen und dies auch bei Ausübung ihrer Tätigkeit in den Dienstgebäuden tun.
2. Die Stellensituation bei der Justiz ist seit längerem prekär. Neben der seit Jahrzehnten andauernden, neoliberal begründeten Einsparungswelle bei der gesamten öffentlichen Hand wird das Problem der zu dünnen Personaldecke inzwischen verschärft durch die schwierige Suche nach Bewerber*innen. Nicht nur, aber insbesondere die Justiz befindet sich insoweit im Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Arbeitgebern, die ebenfalls die besten Absolventen anwerben. Größere Anwaltskanzleien und Unternehmen, die Inhouse-Juristen suchen, bieten dabei ein um ein Vielfaches höheres Gehalt. Schon das Einstiegsgehalt ist meist um den Faktor 3 höher als bei der Justiz; in späteren Jahren geht die Schere noch weiter auseinander. Gepaart mit der gleichwohl hohen Arbeitsbelastung in der Justiz entscheiden sich viele gute Bewerber*innen für das höhere Einkommen. Dadurch sinken tendenziell Qualität und Geschwindigkeit der Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften. Zudem bleiben Stellen aufgrund magerer Bewerberlage unbesetzt. Auch wenn hier aktuell aufgrund der zurückhaltenderen Einstellungspraxis der Privatwirtschaft und Anwaltschaft eine gewisse Entspannung zu beobachten ist, bedarf das Problem einer grundlegenden Lösung.
Zu beachten ist dabei, dass die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatsbericht die Bundesrepublik schon mehrfach wegen zu geringer Richtereinkommen gerügt hat. Diese liegen im Vergleich mit den jeweiligen Durchschnittseinkommen in den EU-Mitgliedsstaaten in Deutschland auf dem letzten Platz. Darin spiegelt sich eine für die Beschäftigten der Justiz deutlich spürbare Geringschätzung ihrer Tätigkeit.
Schließlich sei an die Vielzahl von Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erinnert, in denen die Höhe der Besoldung in verschiedenen Bundesländern für verfassungswidrig erklärt wurde, weil sie das Alimentationsprinzip und/oder das Abstandsgebot verletzt. Als GRÜNE und Rechtsstaatspartei möchten wir nicht, dass auch Baden-Württemberg insofern erneut vom BVerfG verurteilt wird.
3. Der Prüfauftrag, ob ein eigenständiges, von der Beamtenbesoldung abgekoppeltes Vergütungssystem eingeführt wird, ist in diesem Kontext zu verstehen. Bislang werden Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst – meist zeitverzögert und auch nicht 1:1, sondern teilweise abgeschmolzen – auf die Justiz übertragen. Solange die R-Besoldung in diesem Sinne an die Beamtenbesoldung gekoppelt ist, sind die Spielräume für eine amtsangemessene und wettbewerbsfähige Bezahlung der Richter*innen und Staatsanwält*innen äußerst gering. Dabei geht es im Hinblick auf die Justiz um eine recht kleine Zahl von Betroffenen (rund 2.500 Richter*innen und 800 Staatsanwält*innen), verglichen mit der großen Zahl von Beamtinnen und Beamten im Landesdienst (rund 469.000). Eine Abkoppelung dürfte aufgrund der eben beschriebenen „wettbewerblichen“ Sondersituation der Justiz als Dritter Gewalt gerechtfertigt und geboten sein.
4. Gerade hochqualifizierte Berufseinsteiger*innen möchten wir – neben der erforderlichen Erhöhung der Dienstbezüge – auch durch attraktive Rahmenbedingungen für die Justiz gewinnen. Die hierbei zu ergreifenden Maßnahmen sind vielfältig und werden vom Justizministerium teilweise bereits erwogen oder umgesetzt. Es handelt sich um einen ganzen Komplex, der die Justiz als Arbeitgeber wieder attraktiver machen kann und ständiger Fortschreibung bedarf. Die im Antragstext genannten Maßnahmen sind daher nur beispielhaft zu verstehen. Soweit hier auf das Personalbedarfsbemessungssystem Pebb§y angesprochen wird, handelt es sich um ein zentrales Steuerungsinstrument für das Justizpersonal, das insbesondere einen Vergleich zwischen dem Soll- und dem Istzustand der Personaldecke zulässt.
5. Als Dritte Gewalt hat die Justiz einen Sonderstatus. Sie gehört zu den ersten Angriffszielen autokratisch orientierter Parteien, die versuchen, sich der unabhängigen Kontrolle zu entziehen. Eine solche Entwicklung beobachten wir weltweit mit Sorge. Im Kontext der Resilienz des Rechtsstaats steht daher auch die Forderung, die Verfassungstreue der Mitarbeitenden der Justiz, beginnend mit dem Eintritt ins Referendariat, sicherzustellen. Diese Änderung am Programm kann allerdings ggf. deswegen entfallen, weil im Entwurf drei Absätze weiter Entsprechendes steht.

Kommentare
Martin Schacht:
Wir haben in der schon jetzt überlasteten Justiz erhebliche Probleme, hochqualifizierten Nachwuchs zu gewinnen. Eine bessere Aufstellung der Justiz kostet im Verhältnis zu anderen Bereichen relativ wenig, bringt aber mit wenig Aufwand hohe positive Effekte für die Personalgewinnung einerseits das rechtssuchende Publikum andererseits.
Susanne Asche: