Veranstaltung: | LDK in Weingarten am 14./15.10.2023 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | 43. Landesdelegiertenkonferenz in Weingarten |
Beschlossen am: | 14.10.2023 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Attraktives kommunalpolitisches Ehrenamt – ein Aufbruch für mehr Vereinbarkeit und Wertschätzung
Beschlusstext
Die kommunale Ebene ist zentral wichtig für unsere Demokratie. Ausgestattet mit
den besten Vertrauenswerten aller politischen Ebenen, gestalten ehrenamtliche
Gemeinderät*innen, Kreisrät*innen und Regionalrät*innen ganz konkret unser
nächstes Umfeld. Dafür gilt Ihnen unser aller Respekt und Unterstützung.
Dementsprechend wollen wir das kommunalpolitische Mandat für die Ehrenamtlichen
attraktiver gestalten. Unsere Gesellschaft, unsere Art zu arbeiten und zu leben
und auch die Art und Weise, wie das Ehrenamt gelebt wird, hat sich in den
letzten Jahrzehnten deutlich verändert.
Es wird also Zeit für einen Aufbruch, um den neuen Bedürfnissen
entgegenzukommen, mehr Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern, die
Wahrnehmung des kommunalpolitischen Mandats und vor allem dessen Vereinbarkeit
mit dem privaten und beruflichen Leben zu erleichtern. So können wir auch die
Vielfalt in unseren kommunalen Gremien in ganz Baden-Württemberg und allen
Kommunen, und seien sie noch so unterschiedlich, verbessern.
Diese weisen statistisch gesehen einen Mangel an Vielfalt auf. Beispielsweise
sind nur knapp mehr als ein Viertel der Ratsmitglieder weiblich. Doch dies ist
nicht die einzige Gruppe, die nicht ausreichend repräsentiert ist.
Beispielsweise auch Eltern kleinerer Kinder, Menschen mit Behinderungen oder
deren Angehörige, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen unter 40
Jahren finden sich seltener im Gemeinderat. Mit der Reform des
Kommunalwahlrechts sind wir in Baden-Württemberg absolute Vorreiter in ganz
Deutschland und ermöglichen zukünftig die Kandidatur für alle Wahlberechtigten
ab 16 Jahren. Das ist eine große Chance für die Verjüngung der Räte, die wir nun
mit Leben füllen müssen.
In unseren Parteistrukturen unterstützen wir Grüne die Vielfalt in den Räten
unter anderem durch das Vielfaltsprogramm und Maßnahmen der Frauenförderung.
Es braucht aber auch strukturelle Veränderungen für die Kommunen, um noch mehr
Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern.
Die Zukunft ist digital – hybride Ratssitzungen und Livestreams
Während der Corona-Pandemie haben die Kommunen erneut ihre
Problemlösungsfähigkeit unter Beweis gestellt und haben zügig Möglichkeiten für
digitale Gremiensitzungen geschaffen. Die Möglichkeit, Sitzungen hybrid zu
gestalten, ermöglicht sowohl private als auch berufliche Flexibilität.
Wir sollten aus diesen Möglichkeiten lernen und sie weiter ausbauen. Die
technischen Systeme sind vor Ort mehrheitlich schon da. Jetzt gilt es, hybride
Sitzungen rechtssicher zu gestalten. Hier hat das Land Lösungen für den
rechtlichen Rahmen und die Rechtssicherheit zu erarbeiten.
Ebenso hat das Land die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtssicherheit für
die Online-Übertragung von Gemeinderatssitzungen zu konkretisieren und die
Kommunen bei Fragen hierzu zu unterstützen.
Im Grundsatz halten wir die Präsenz für die erstrebenswerte Form, in der
mehrheitlich der Sitzungsdienst geleistet werden sollte.
Weniger ist mehr: Für eine Begrenzung der Sitzungszeit und
Redezeitbeschränkungen
Wir setzen uns vor Ort dafür sein, dass mit der Sitzungszeit verantwortungsvoll
umgegangen wird. Wir ermutigen dazu, in jeder Kommune vor Ort Begrenzungen der
Sitzungszeit festzulegen. Nach 21 Uhr sollten daher nur mit Einstimmigkeit des
Rates neue Tagesordnungspunkte festgelegt werden dürfen.
Weiter sprechen wir uns vor Ort und auf die jeweilige Kultur im Rat angepasst
für die Beschränkung der Redezeit, bei Wortbeiträgen sowie bei Haushaltsreden
aus.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und Vereinbarkeit mit Schule, Studium und
Ausbildung
Um jungen Menschen die Teilhabe in kommunalen Gremien besser zu ermöglichen,
fordern wir, dass neben Arbeitnehmer*innen und Beamt*innen auch Auszubildende,
Schüler*innen und alle Studierenden einen Rechtsanspruch auf Freistellung, für
die Ausübung des Mandats, erhalten. Zudem soll für Studierende, ab einer
einjährigen Mitgliedschaft in einem kommunalpolitischen Gremium, parallel zum
Studium, die Prüfungsfristen sowie die Regelstudienzeit um zwei Semester
verlängert werden. Dies ist entscheidend, da aufgrund von festen
Sitzungsterminen nicht immer alle erforderlichen Vorlesungen innerhalb der
Regelstudienzeit belegt werden können. Des Weiteren ist es an der Zeit, im
Hochschulzulassungsgesetz ein kommunalpolitisches Mandat als Grund für eine
Ortsgebundenheit anzuerkennen, um die Vereinbarkeit von Studium und
Kommunalpolitik besser zu ermöglichen.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und Vereinbarkeit mit Care-Arbeit
Viele Interessierte sehen angesichts familiärer Verpflichtungen von der
Kandidatur für ein kommunales Mandat ab. Damit geht sehr viel Expertise für
unsere Gremien verloren. Bezüglich des Ausgleiches von Care-Arbeit, meist
Babysitting, gibt es in den einzelnen Kommunen sehr unterschiedliche
Handhabungen. Wir sind der Überzeugung, dass der beste Weg die Festlegung von
Pauschalen in der Entschädigungssatzung sind und unterstützen unsere
Kommunalpolitikerinnen, diese vor Ort dementsprechend zu ändern.
Dabei ist es uns wichtig, dass der gesamte Care-Bereich abgedeckt ist – also
nicht nur die Kinderbetreuung, sondern auch die Betreuung zu pflegender
Angehöriger.
Kommunalpolitisches Ehrenamt und die Anwesenheit – Ein einfacher Tausch
Im Idealfall finden Sitzungen in Präsenz und vor Ort statt. Dies ist aber nicht
immer möglich. Insbesondere in Zeiten, in denen das Ehrenamt wegen Krankheit
oder beruflichen Verpflichtungen dauerhaft nicht in Präsenz stattfinden kann,
bedarf es einer neuen Lösung. Wir setzen uns für einen Prüfauftrag folgenden
Modells ein: Kann eine Rätin /ein Rat absehbar für mehrere Monate nicht in
Präsenz an den Sitzungen teilnehmen, kann sie/er für einen begrenzten Zeitraum
von einem halben Jahr ihr Mandat an die/den jeweilige*n Nachrücker*in abgeben.
Kehrt die Rätin/ der Rat zurück, gibt die/der Nachrücker*in das Mandat wieder
ab.
Attraktivität des Fraktionsvorsitz
Die Arbeit als Fraktionsvorsitzende*r ist oftmals noch zeitaufwändiger und
intensiver. Neben den Zulagen ist es uns wichtig, Fraktionsvorsitzende
insbesondere bei organisatorischen Aufgaben zu unterstützen. Aufgaben wie die
Terminkoordination, Raumsuche oder schlicht das Verwalten und Verteilen von
Mails und Post sollen zukünftig in Kommunen ab 20 000 Einwohnenden den Anspruch
auf eine Geschäftsstelle haben. Diese ist direkt bei der Kommune angestellt. Der
Umfang dieser Stelle soll vor Ort per Gemeinderatsbeschluss festgelegt werden.
Kommunikation und Berichterstattung stärken
Mit großer Sorge sehen wir die abnehmende Leserschaft und den zunehmenden
ökonomischen Druck auf die Tageszeitungen, der oftmals die Streichungen
innerhalb der Lokalredaktionen oder Streichung von Berichterstattung zur Folge
hat. Über die Tageszeitungen läuft die meiste Berichterstattung über
Kommunalpolitik.
Uns ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen über die Entscheidungen vor
Ort informiert sind. Deswegen setzen wir uns auf kommunalpolitischer Ebene dort,
wo die Lokalredaktionen nur noch eingeschränkt berichten können, für eine
Vollverteilung des Amtsblatts ein. Dieses soll über kommunalpolitische
Entscheidungen informieren und den Fraktionen Raum für die Darstellung ihrer
Arbeit und ihrer Meinung bieten, aber explizit keinen Zeitungscharakter haben.
Schutz vor Hass und Hetze: Wir bleiben dran!
Immer mehr Kommunalpolitiker*innen im Haupt- wie auch im Ehrenamt sehen sich
Angriffen ausgesetzt. Für ihren Schutz haben wir Grüne schon einiges erreicht.
Zukünftig steht auf den Wahllisten nicht mehr die volle Anschrift der
Kandidierenden. Zudem haben wir die bestehende Beratungsstelle für Betroffene im
Landeskriminalamt ausgebaut: neben einer polizeilichen und juristischen Beratung
erhalten jetzt auch Betroffene und ihr enger Familienkreis eine psychosoziale
Erstberatung. Diese soll helfen, die passende Unterstützung zu finden.
Mit dem Kabinettsbeschluss „Entschlossen gegen Hass und Hetze“ setzen wir im
Land ein klares Zeichen. Und unterstützen insbesondere auch unsere
Kommunalpolitiker*innen.
Wir werden weiter intensiv an diesem Thema arbeiten und insbesondere im engen
Austausch mit den Betroffenen weitere Bedarfe eruieren.
Daher fordern wir eine jährliche Sondersitzung des Kabinettsausschusses speziell
zum Thema „Hass und Hetze gegen Kommunale“. Gemeinsam mit betroffenen haupt- und
ehrenamtlichen Kommunalpolitiker*innen, den Kommunalen Landesverbänden,
Vertreter*innen der Landespolitik, der Polizei, sowie wissenschaftlicher
Expertise wollen wir an zusätzlichen Lösungsstrategien und Empowerment arbeiten.