Veranstaltung: | Parteitage in Reutlingen am 7. und 8. Dezember 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 0.LDK-V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Antragsteller*in: | LAG Wirtschaft, Finanzen und Soziales (dort beschlossen am: 09.11.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 09.11.2024, 16:30 |
LDK-V14: Freiheit sichern – mehr Pragmatismus wagen!
Antragstext
Diese Voraussetzungen sind vor allem durch die Klimakrise, das rasante
Artensterben, die veränderte Sicherheitslage in Europa und der Welt sowie
Veränderungen auf der weltwirtschaftlichen Ebene (Veränderungen der Bedeutung
und der Beziehungen zwischen den Wirtschaftsblöcken, Veränderung internationaler
Handels- und Finanzbeziehungen, partielle Rückkehr zum Protektionismus) unter
großen Druck geraten und gefährdet.
Wir fordern, dass die Sicherung der Freiheit – für uns und für die zukünftigen
Generationen – durch die Sicherung ihrer Voraussetzungen zur Leitlinie
politischer Entscheidungen wird. Und dass die notwendigen Anpassungen, die auch
erhebliche Investitionen verlangen, durch pragmatisches und entschlossenes
politisches Handeln umgesetzt werden.
Auf der regulatorischen Ebene sind die Rahmenbedingungen an einem
funktionierenden Ökosystem, hoher Biodiversität und an einer Stabilisierung des
Globalklimas auszurichten. Staatliche Regulierungen sind außerdem so
auszugestalten, dass die Institutionen der öffentlichen Hand rasch und
reibungslos funktionieren und die öffentliche Daseinsvorsorge, soziale
Sicherheit, innere und äußere Sicherheit, eine funktionierende öffentliche
Infrastruktur sowie eine prosperierende privatwirtschaftliche Wertschöpfung
gewährleistet werden können.
Auf der organisatorischen Ebene sind einfachere, schnellere und digitalisierte
Prozesse und die Bündelung staatlicher Leistungen – orientiert an Effizienz,
Zielgenauigkeit und Bürgernähe der Leistungsgewährung – anzustreben. Nicht jeder
Einzelfall und nicht alles soll bis ins kleinste Detail vorgegeben werden, um
den administrativen Aufwand, der viele Ressourcen bindet, für alle Beteiligten
zu reduzieren. Wir wollen wieder stärker vertrauen – den Mitarbeitenden in den
Einrichtungen der öffentlichen Hand, in privatwirtschaftlichen Unternehmen und
in Organisationen der Zivilgesellschaft. Auch den Menschen in unserem Land, den
Bürgerinnen und Bürgern. Freiheit beruht auf Regeln und auf Vertrauen!
Auf der finanziellen Ebene benötigen Bund, Länder und Gemeinden größere
finanzpolitische Handlungsspielräume, damit die erforderlichen Anpassungen
gelingen und die anstehenden Aufgaben bewältigt werden können. Insbesondere, um
die erforderlichen Investitionen vorzunehmen, die in den vergangenen Jahren und
Jahrzehnten nicht erfolgt sind. Während im europäischen Durchschnitt seit 2000
jährlich rund 3,7% des BIP für staatliche Investitionen aufgewendet wurden,
waren es in Deutschland durchschnittlich 2,1% pro Jahr.[i] Wir haben in
Deutschland zu lange von der Substanz gelebt und die Folgen des
Investitionsstaus sind für uns alle deutlich sichtbar und spürbar!
Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form erlaubt dem Bund nur eine sehr geringe
Verschuldung (ca. 0,35% des BIP). Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom
15.11.2023 hat den finanzpolitischen Spielraum des Bundes zudem weiter deutlich
eingeschränkt, da zuvor gängige Praktiken der Haushaltsführung nun nicht mehr
möglich sind. Insbesondere die vielfach kritisierte strenge Auslegung des
Prinzipes der Jährlichkeit engt den haushalterischen Spielraum deutlich ein und
verhindert eine nachhaltige Finanzpolitik, deren Haushaltspraxis und
Investitionsentscheidungen ja gerade eine mehrjährige Perspektive voraussetzen.
Auch das Land Baden-Württemberg hat laut Landesverfassung außerhalb von Notlagen
nur sehr begrenzte Möglichkeiten sich zu verschulden.
Wir fordern die Reform der bestehenden Schuldenbremse und die Definition neuer
Kreditregeln für unser Land. Mit dieser Forderung sind wir nicht alleine: Der
IWF, die OECD, der Sachverständigenrat und viele renommierte
Wirtschaftsforschungsinstitute fordern ebenfalls eine Reform und es liegen
konkrete Reformvorschläge vor.
Zusätzliche Ausgaben der öffentlichen Hand sollen investitionsorientiert sein;
wir brauchen mehr öffentliche und private Investitionen. Neue, daran orientierte
Kreditregeln ermöglichen einerseits zukunftsorientierte staatliche
Investitionen[ii], die durch die Schuldenbremse in ihrer Wirkung als
„Investitionsbremse“ bislang verhindert wurden. Sie ermöglichen andererseits,
gezielt private Investitionen in Industrie, Handel und Handwerk zu fördern, die
erforderlich sind, um den Transformationsprozess zu bewältigen – auch in
mittelständischen Unternehmen, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland von
großer Bedeutung sind. In der Privatwirtschaft werden Leistungen erbracht, die
außerhalb der staatlichen Kernaufgaben liegen, aber ebenfalls für die Versorgung
der Menschen bedeutend sind. Ihre Wertschöpfung ist die Grundlage für unseren
Wohlstand und sichert die wirtschaftliche Stabilität des Landes.
Ergänzend besteht auch im Rahmen der gegenwärtigen Schuldenbremse die
Möglichkeit, öffentliche Unternehmen mit Kapital (Eigen- oder Fremdkapital)
auszustatten, um konkrete Investitionsprojekte – insbesondere
Infrastrukturprojekte – haushaltsneutral zu finanzieren (sogenannte Finanz-
Transaktionskomponente). Auf der Bundesebene ist dies jüngst bei der DB InfraGo
geschehen. Diese Möglichkeit hat auch das Land Baden-Württemberg.
Wir fordern, dass bei dringenden Investitionsvorhaben diese
Finanzierungsmöglichkeit auf der Bundes- und Landesebene geprüft wird, wobei die
Folgekosten für die Instandhaltung der geschaffenen Infrastruktur bei der
Berechnung der Finanzbedarfe berücksichtigt werden. Diese Möglichkeit, bereits
jetzt konkrete Infrastrukturprojekte haushaltsneutral zu finanzieren, steht der
notwendigen Reform der Schuldenbremse nicht entgegen, sondern trägt ergänzend
zur Stärkung der öffentlichen Haushalte bei.
Auch eine Überprüfung bestehender Ausgaben und der Ausgabenstruktur auf allen
Ebenen halten wir für erforderlich; sie ist absolut zu befürworten. Bei einer
Überprüfung bestehender Ausgaben darf es nicht primär um einen „sozialen
Rotstift“ gehen: Sozialausgaben und notwendige Investitionen sollen nicht
gegeneinander ausgespielt werden. Außerdem ist es die Aufgabe einer nachhaltigen
Finanzpolitik, auch bestehende Subventionen zu hinterfragen und wenn nötig zu
streichen.
Finanzpolitik ist kein Selbstzweck; der Einsatz öffentlicher Mittel dient dazu,
die ökologischen, institutionellen, infrastrukturellen, sozialen,
sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen unserer Freiheit zu
sichern. Wir können dabei heute bereits erkennen, dass die Kosten
erforderlicher, aber unterlassener Investitionen deutlich gestiegen sind und
weiter steigen werden. Wir wollen diese Hypothek der nachholenden Bewältigung
erforderlicher Aufgaben nicht den zukünftigen Generationen aufbürden.
Der Think Tank „Dezernat Zukunft“ beispielsweise beziffert den zusätzlichen
Finanzbedarf aller Gebietskörperschaften in Deutschland für den Zeitraum 2025
bis 2030 in den Bereichen Bildung, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Forschung,
Gesundheit, Verkehr, Wohnen, innere Sicherheit, Klimaanpassung, wirtschaftliche
Resilienz, Verteidigung und sonstige äußere Sicherheit auf rund 780 Mrd. Euro –
darunter ca. 420 Mrd. Euro für Investitionen (Erhalt und Neuinvestitionen). Ohne
Berücksichtigung der Kosten für die Dekarbonisierung geht der BDI von einem
Finanzbedarf von knapp 380 Mrd. Euro aus; IMK/IW sprechen von einem Finanzbedarf
in Höhe von gut 580 Mrd. Euro. Der Finanzbedarf insgesamt besteht laut Dezernat
Zukunft zu ca. 50% auf der Ebene des Bundes, zu ca. 20% auf der Ebene der
Bundesländer und zu ca. 30% auf der Ebene der Kommunen.[iii]
Wir fordern, dass die Reform der Schuldenbremse auf Bundesebene auch die
finanziellen Spielräume der Länder und Kommunen berücksichtigt und erweitert:
Durch die Einrichtung eines Zukunfts- und Investitionsfonds sollen dem Bund, den
Ländern und den Kommunen Mittel für notwendige Investitionen zur Verfügung
gestellt werden. Unsere Forderung korrespondiert mit dem Vorschlag der
Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die in Leipzig einen
vielversprechenden Beschluss „Für einen wirtschaftlichen Aufbruch und ein
modernes Land, das einfach funktioniert“ vorgelegt hat.[iv] Der Fonds soll aus
Mitteln, die durch die Reform der Schuldenbremse freigesetzt werden, finanziert
werden. Sowohl der Umfang des Zukunfts- und Investitionsfonds als auch die
Verteilung der eingestellten Mittel auf die Gebietskörperschaften sollen unter
Einbeziehung aller staatlichen Ebenen festgelegt werden.
Die Behebung des Investitionsstaus fordert alle Gebietskörperschaften heraus.
Bund, Länder und Gemeinden – auch uns in Baden-Württemberg. Obwohl wir unter
grüner Führung und einem grün geführten Finanzministerium in den vergangenen
Jahren eine solide, nachhaltige und zukunftssichere Finanzpolitik gemacht haben:
die Spielräume werden auch in unserem Bundesland kleiner. Alleine der Erhalt der
bestehenden Infrastruktur wird mit hohen Ausgaben verbunden sein. Und im Bereich
der Bildung haben wir einiges vor. In Baden-Württemberg sollen aus dem
Investitions- und Zukunftsfond, der auf der Basis neuer Kreditregeln auf
Bundesebene gebildet wird, Mittel für Investitionen insbesondere in den
Bereichen Klimaschutz und Klimaanpassung, Infrastruktur und Bildung
bereitgestellt werden.
Neue Kreditregeln sind eine wesentliche Voraussetzung, um auch den zukünftigen
Generationen ein Leben in Freiheit und Wohlstand in einem modernen,
funktionierenden und zukunftsfähigen Baden-Württemberg zu ermöglichen. Sie sind
eine wesentliche Voraussetzung für eine Zukunft in Freiheit und Wohlstand in
Deutschland und – aufgrund der Stellung Deutschlands in Europa – auch in
Europa.[v]
[ii] Unter Investitionen verstehen wir Ausgaben, die im Kapitalstock des Staates
bzw. der jeweiligen Gebietskörperschaft die Vermögenswerte erhöhen.
Investitionen schaffen Vermögen.
[v] Über die Forderung neuer Kreditregeln in Deutschland hinausgehend: Mario
Draghi hat in seinem Report den Bedarf an Investitionen in der Europäischen
Union – ca. 800 Mrd. jährlich – zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der EU
aufgezeigt. Die europäischen Fiskalregeln stehen in vielen Ländern den
erforderlichen Investitionen entgegen. Wir plädieren dafür, die europäischen
Fiskalregeln von der Bruttobetrachtung zur Nettoschuldenbetrachtung, bei der nur
jene Schulden berücksichtigt werden, denen keine staatlichen Vermögenswerte
gegenüberstehen, umzustellen. Damit würden viele europäische Länder die
Möglichkeit bekommen, die Investitionen zu tätigen, die erforderlich sind, um
Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Freiheit in der EU zu sichern. In Ländern
wie dem Vereinigten Königreich oder Neuseeland ist diese Nettoquote bereits ein
zentraler Indikator, der auch von Eurostat und dem IWF verwendet wird.
Begründung
Erfolgt mündlich.