Veranstaltung: | LDK in Sindelfingen am 21./22.09.2019 |
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Tagesordnungspunkt: | V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | LAG Tierschutzpolitik |
Eingereicht: | 04.08.2019, 21:54 |
Das unerträgliche Leid der Tiere bei Transporten beenden
Beschlusstext
Wir Grüne fordern, das Leid der Tiere bei Tiertransporten zu beenden. Die
derzeitigen tierschutzwidrigen Umstände bei Tiertransporten im In- und Ausland
und insbesondere bei Langstreckentransporten in Drittstaaten sind nicht weiter
hinnehmbar.
In jüngster Zeit hat sich daher eine zunehmende Anzahl an Amtsveterinär*innen
geweigert, Transportgenehmigungen bzw. Vorzeugnisse für Tiertransporte in
Drittsaaten auszustellen, da sie die begründete Befürchtung sahen, dass die
Vorgaben der EU-Tiertransportverordnung nicht während des gesamten Transports
eingehalten oder die Tiere im Drittstaat unter tierschutzwidrigen Bedingungen
geschlachtet werden.
Um den Tierschutz beim Transport zu verbessern, bedarf es wirkungsvoller
konkreter Maßnahmen. Auf Landesebene setzen wir uns ein für:
- einen Erlass des baden-württembergische Landwirtschaftsministeriums (nach
dem Vorbild Sachsen-Anhalts), der die Veterinärbehörden anweist, eine Art.
14 Genehmigung zum Transport oder ein Vorzeugnis dazu nur dann zu
erteilen, wenn bei Langstreckentransporten die Existenz und Ausstattung
der angegebenen Versorgungsstellen bzw. der nach Unionsrecht
gleichwertigen Stellen nachgewiesen worden sind und zwar durch eine in
englischer Sprache abgefasste Bescheinigung der am Ort der
Versorgungsstelle zuständigen Behörde. Dieser Erlass muss auch konkret
regeln, wie der Nachweis auszusehen hat bzw. wie genau die Prüfung des
Transports durch die Amtsveterinärin oder den Amtsveterinär zu erfolgen
hat (in Form einer Arbeitsanweisung)
- die Förderung der mobilen Schlachtung
- die Einrichtung einer zentralen staatlichen baden-württembergischen
Prüfbehörde zur Plausibilitätsprüfung nach Art. 14 VO (EG) 1/2005
- Die Einrichtung mehrerer dezentraler Notversorgungsstellen in Baden-
Württemberg, wo Tiere bei Feststellung von Verstößen erforderlichenfalls
untergebracht werden können und eine entsprechende Abstimmung von Baden-
Württemberg mit umliegenden Bundesländern
- eine Strenge Überprüfung der Einhaltung der VO (EG) 561/2006 („Lenk- und
RuhezeitenVO“)
- eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Veterinärämter
- Gemeinsame Schulungen von Amtsveterinären, Polizei und zuständigen
Staatsanwälten in Bereich Tiertransporte (sog. Taskforces)
Diese Maßnahmen werden dazu beitragen, die Situation der Tiere beim Transport zu
verbessern. Ferner brauchen wir weitere tiefgreifender Maßnahmen auf Bundes- und
europäischer Ebene. Langfristig ist es erforderlich, die Agrarwende einzuleiten
und regionale landwirtschaftliche Strukturen zu fördern, um die Zahl der
Tiertransporte insgesamt deutlich zu reduzieren.
Begründung
Täglich werden allein in Deutschland im Schnitt 3,6 Millionen Tiere transportiert. Die Transportzahlen sind steigend. Im Jahr 2016 exportierte Deutschland rund 350 Millionen lebende Tiere in andere EU-Länder und importierte 216 Millionen Tiere aus anderen EU-Mitgliedsstaaten. Innerhalb der Europäischen Union werden jährlich 1,4 Milliarden Tiere transportiert.
Bei Tiertransporten in wirtschaftlicher Absicht innerhalb der EU und (laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-424/13) auch bei Transporten aus der Europäischen Union bis zum ersten Entladeort im Bestimmungsdrittland ist die Tiertransport-Verordnung (VO (EG) Nr. 1/2005) anwendbar, die einen gewissen, wenn auch unzureichenden, Tierschutzstandard bietet. Für Deutschland werden diese EU-Vorgaben in der Tierschutztransportverordnung (TierSchTrV) konkretisiert. Die Vorgaben der EU-Tiertransportverordnung sind an vielen Stellen ungenügend und bieten oft einigen Auslegungsspielraum. So gibt es beispielsweise keine absolute Höchstgrenze für die Transportdauer und Tiere können unter bestimmten Bedingungen endlos lange transportiert werden.
Wir fordern daher auf Bundesebene die Überarbeitung der TierSchTrV und eine Begrenzung der innerdeutschen Transporte auf max. 4 Stunden (zzgl. 2 Stunden Ver- und Entladezeit) sowie die Aufnahme von Bußgeldvorschriften in die TierSchTrV, um Verstöße effektiver ahnden zu können.
Auf europäischer Ebene fordern wir die Überarbeitung der VO (EG) Nr. 1/2005. Es müssen strengere Regelungen insbesondere hinsichtlich der zulässigen Ladedichten, Transportdauer, Temperatur sowie hinsichtlich der Zulassung und Ausstattung der Transportmittel geschaffen werden. Die VO (EG) Nr. 1/2005 muss durchgehend präzise und vollstreckbare Regelungen enthalten, die keinen Auslegungsspielraum lassen. Des Weiteren muss die maximale Transportdauer auf 8 Stunden (incl. Ver- und Entladezeit) begrenzt werden.
Auch der Transport nicht entwöhnter Tiere ist ein großes Problem.Oftwerden wenige Wochen alte Kälber transportiert, die zuvor am Euter der Mutterkuh oder am Gumminippel einer Kübeltränke gesaugt haben. Im LKW finden sie Nippel aus Metall vor. Diese werden von den meisten Kälbern nicht als Tränke erkannt, an denen sie saugen können. Zudem wird daraus nur kaltes Wasser, aber keine Milch oder Milchersatz („Austauscher“) angeboten. In der Folge leiden die Kälber Durst, einige sterben sogar an Austrocknung. Deshalb muss der Transport nicht entwöhnter Tiere verboten werden.
Baden-Württemberg exportiert 75 Prozent aller männlichen Kälber. Grund hierfür ist die Milchviehwirtschaft. Ein männliches Kalb ist für einen Milchviehbetrieb nicht mehr als ein Abfallprodukt, das Geld kostet. Das Kalb einer Milchviehrasse ist nicht so kräftig wie das einer Kuh, die zur Fleischproduktion gezüchtet wurde, und ist zur Mast daher weniger geeignet. Da die Aufzucht eines Kalbes für den Bauern mehr Geld kostet als das Tier einbringen würde, werden die Kälber in der Regel verkauft, meist ins Ausland.
Weiterhin besteht ein Vollzugsdefizit im Bereich der Tiertransportregelungen. Es wird zu wenig und nicht effektiv genug kontrolliert. Daneben reichen die zu erwartenden Strafen bei Weitem nicht aus, um eine abschreckende Wirkung zu entfalten.
Es bedarf daher auf Bundesebene der Implementierung eines bundeseinheitlichen, systematischen Kontrollsystems mit wirksamen bundeseinheitlichen Sanktionen.
Auch auf europäischer Ebene muss ein für alle Mitgliedstaaten obligates und wirksames risikobasiertes Kontrollsystem (für Transporte auf dem Land- sowie dem Seeweg) erarbeitet werden, das ein vergleichbares Niveau innerhalb der EU hinsichtlich Kontrolldichte und Sanktionen gewährleistet.
Wird bei einer Kontrolle ein Verstoß festgestellt, darf der LKW in der Regel weiterfahren, da häufig keine Möglichkeit besteht, die Tiere in der Nähe abzuladen. Daher muß deutschland- und europaweit eine ausreichende Anzahl an Notversorgungsstellen eingerichtet werden, wo die Tiere, sofern eine Behandlung oder Futter- und Tränkeversorgung notwendig ist, untergebracht werden können. Diese Notversorgungsstellen könnten in leerstehenden Stallungen entlang von Autobahnen eingerichtet werden.
Besonders erschreckend sind die Zustände bei Transporten über die EU-Grenzen hinweg.
Die EU-Mitgliedsstaaten transportieren jährlich 238 Millionen lebende Tiere in Drittstaaten. Die Tiere werden oft tausende Kilometer weit tagelang über die Straße oder den Seeweg transportiert, oft ohne Pause und ausreichende Wasserversorgung. Gerade in den Sommermonaten versterben zahlreiche Tiere bereits beim Transport. Da es auf den Routen oft keine oder unzureichend ausgestattete und (amtlich) zugelassene Versorgungsstationen („Kontrollstellen“) gibt, werden die nach europäischen Recht vorgeschriebenen 24-stündigen Ruhepausen häufig nicht eingehalten und die Tiere verbleiben während der Zeit auf dem LKW, wo ein Tränken und Füttern meist nicht möglich ist.
Wir fordern deshalb, dass Deutschland die bestehenden bilateralen Abkommen zu Lebendtiertransporten in Drittsaaten auflöst und keine neuen Abkommen schließt. Ein entsprechendes Verbot von Lebendtiertransporten in Drittstaaten brauchen wir auch auf EU-Ebene.
Der Export ins EU-Ausland erfolgt zum Teil zur Weitermast oder zur Schlachtung, zum Teil auch zur Zucht, mit dem Ziel, eine Tierpopulation in dem Drittstaat aufzubauen. Aus Deutschland werden ca. 81.000als Zuchtrinder deklarierte Tiere in Drittstaaten außerhalb Europas transportiert. Diese Zuchttiertransporte sind kritisch zu hinterfragen. Oft werden über Jahre hinweg Tiere angeblich zum Zwecke der Zucht in die Empfängerländer transportiert, ohne,dass dort ein Herdenaufbau nachgewiesen wird. Zudem sind die hiesigen sogenannten „Nutztierrassen“ Hochleistungszüchtungen, die aufgrund klimatischer und anderer Umstände überhaupt nicht für den Aufbau einer Herde in diesen Ländern geeignet sind.
Bei einem Transport aus der EU in einen Drittstaat muss der Amtsveterinär des jeweiligen exportierenden EU-Landes prüfen, ob die Vorschriften der EU-Transportverordnung auf dem gesamten Transport eingehalten werden. Ist dies nicht gewährleistet, darf keine Transportgenehmigung bzw. auch kein Vorzeugnis dazu ausgestellt werden. Vor diesem Hintergrund haben sich in letzter Zeit Amtsveterinär*innen in vielen Bundesländern zunehmend geweigert, Genehmigungen bzw. Vorzeugnisse für Langstreckentransporte in Drittländer auszustellen. Zum einen sahen sie es als nicht gewährleistet, dass während des Transports die Vorgaben der EU-Tiertransportverordnung eingehalten werden. Zum anderen sahen die Veterinär*innen die begründete Befürchtung, dass die Tiere in den Drittstaaten unter tierschutzwidrigen Bedingungen geschlachtet werden. Nach Berichten von Journalisten, Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen sind in vielen Ländern erschreckende Praktiken wie Durchtrennen der Achillessehnen und Ausstechen der Augen vor der Schlachtung an der Tagesordnung. In zahlreichen Ländern ist das Schächten ohne Betäubung des Tieres die gängige Schlachtmethode. Stellt eine Amtsveterinärin oder ein Amtsveterinär die Genehmigung bzw. ein Vorzeugnis für einen Tiertransport in einen Drittstaat aus, obwohl nicht gewährleistet ist, dass während des gesamten Transports sowie bei der Schlachtung bzw. den Vorbereitungshandlungen dazu geltende Tierschutzvorschriften der Europäischen Union eingehalten werden, können die Veterinär*innen straf- sowie beamtenrechtliche Sanktionen erwarten. Um die Situation der zuständigen Amtstierärzt*innen auf rechtssicheren Boden zu stellen, müssen die Bundesländer entsprechende Erlasse mit ermessensleitenden Vorgaben für die Veterinärbehörden herausgeben, wie dies beispielsweise schon in Sachsen-Anhalt (Runderlass des sachsen-anhaltischen Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Energie (MULE) vom 22. 5. 2019, Az. 75.3-42500/2.1.13) geschehen ist. Wir halten auch in Baden-Württemberg eine solchen Erlass für notwendig.