Veranstaltung: | LDK in Sindelfingen am 21./22.09.2019 |
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Tagesordnungspunkt: | V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Antragsteller*in: | Danyal Bayaz (Kurpfalz-Hardt KV) |
Status: | Überweisung |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 21.08.2019, 10:23 |
V8: Erinnerungskultur gestalten. Demokratie stärken. Antisemitismus bekämpfen.
Antragstext
Erinnerungskultur gestalten. Demokratie stärken. Antisemitismus bekämpfen.
Antisemitismus bedroht Menschen jüdischen Glaubens und unsere freiheitlich-
demokratische Grundordnung. Antisemitismus richtet sich auch gegen Nichtjuden
und gegen das friedliche Zusammenleben von Menschen in ihrer Verschiedenheit.
Antisemitismus macht auch vor unseren Parlamenten nicht Halt.
Die Bekämpfung von Antisemitismus gehört zum Selbstverständnis der
Bundesrepublik Deutschland. In diesem Bewusstsein hat der Landtag Baden-
Württembergs die Landesregierung ersucht, einen Beauftragten gegen
Antisemitismus zu berufen. Inzwischen hat der Beauftragte seinen ersten Bericht
vorgelegt.
Darin wird deutlich, dass in Baden-Württemberg (wie im Bund) die Zahl
antisemitischer Straftaten 2018 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen ist. Das
gilt auch für antisemitische Einstellungen. Sowohl manifest als auch latent
antisemitische Einstellungen haben zwischen 2016 und 2018 deutlich zugenommen.
Betrachtet man die Entwicklung in einem längerfristigen Zeitverlauf, so gibt es
sowohl bei antisemitischen Straftaten als auch Einstellungen Schwankungen.
Niedrigere Werte in manchen Jahren sind jedoch kein Anlass zur Beruhigung, denn
höhere Werte deuten auf einen „Vorrat“ an antisemitischer Haltungen hin.
Wir verurteilen antisemitische Äußerungen und Übergriffe, egal, aus welcher Ecke
sie kommen. Wir nehmen es nicht hin, dass Antisemitismus in Baden-Württemberg
zunimmt und jüdisches Leben bedroht wird.
Die Bekämpfung des Antisemitismus braucht sowohl ein ressortübergreifendes
Bündel von Maßnahmen als auch das Engagement von Politik und Zivilgesellschaft.
In diesem Sinne unterbreitet der Bericht des Beauftragten gegen Antisemitismus
relevante Handlungsempfehlungen für verschiedene Bereiche.
Von besonderer Bedeutung ist dabei die aktive Gestaltung der Erinnerungskultur.
Es braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger, die die Erinnerung an die Opfer
und Schrecken des Nationalsozialismus wach halten. Das betrifft im Sinne des
früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gerade auch die jüngeren
Generationen. Sie sind „nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber
sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus gemacht wird.“
Jede Generation muss sich immer wieder von neuem bewusst werden, dass aus
unserer Geschichte eine Verantwortung für das Heute erwächst. Diese
Verantwortung gilt für alle, die in Deutschland leben, gleich welcher Herkunft.
Damit nicht in Vergessenheit gerät, was niemals vergessen werden und niemals
wieder passieren darf.
Doch unterliegt die Erinnerungskultur heute einem erheblichen Wandel. Denn zum
einen werden die Zeitzeugen des Nationalsozialismus weniger, die direkte
Vermittlungsarbeit für junge Menschen leisten können. Zum anderen wächst in
unserer Einwanderungsgesellschaft die Zahl der Menschen, die keinen familiären
Bezug zum Nationalsozialismus haben und andere Geschichten mitbringen. Wenn
diese verschiedenen Perspektiven auf der Grundlage der Menschenrechte und
demokratischer Werte ernst genommen werden, kann eine plurale und offene
Erinnerungskultur erwachsen, die wiederum die demokratische Identität stärken
kann.
Diese Entwicklungen stellen für Gedenkstätten und Erinnerungsorte als
Institutionen der Erinnerungskultur eine besondere Herausforderung dar. Um
erfolgreich Erinnerung wach halten und Geschichte vermitteln zu können, müssen
sie ihre pädagogischen Konzepte weiterentwickeln und dabei auch die digitale
Lebenswelt berücksichtigen. Dazu benötigen sie eine auf Dauer verlässliche
Finanzierung und pädagogisch geschultes Personal.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, Erinnerungskultur nicht zu
zentralisieren, sondern vor Ort und mit lokalem Bezug erfahrbar zu machen. Dabei
können gerade neue, regionale Initiativen aus der Zivilgesellschaft eine
wichtige Rolle spielen. Es geht dabei auch um Schicksale wie das der badischen
Demokraten Ludwig Marum und seiner Ehefrau Johanna Marum. Ludwig Marum stammte
aus einer jüdischen Familie. Er hat das Schönborn-Gymnasium in Bruchsal besucht,
war Landtags- und Reichstagsabgeordneter und Gegner des NS-Regimes. Er wurde
1934 im Konzentrationslager Kislau bei Bad Schönborn ermordet. Marum ist eine
prägende Person der baden-württembergischen Demokratiegeschichte, die auch in
der baden-württembergischen Erinnerungskultur stärker gewürdigt werden sollte.
Vor dem Hintergrund des hier beschriebenen Wandels der Erinnerungskultur
beinhalten die konkreten Handlungsempfehlungen des Beauftragten gegen
Antisemitismus unter anderem die stärkere Förderung von Lernorten und
Gedenkstätten, die Ermöglichung von Gedenkstättenfahrten für Schülerinnen und
Schüler (auch außerhalb Baden-Württembergs) und die Unterstützung der
gedenkstättenpädagogische Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung.
Die Landesdelegiertenkonferenz fordert den Landtag und die Landesregierung
Baden-Württemberg auf, sich für eine zeitgemäße Erinnerungskultur auf Basis der
Handlungsempfehlungen des Beauftragten gegen Antisemitismus einzusetzen und
diese durch die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel zu fördern.
Unterstützer*innen
- Manfred Kern (Kurpfalz-Hardt KV)
- Gabriela Lachenauer (Odenwald-Kraichgau KV)
- Lukas Weber (Heidelberg KV)
- Nicolá Lutzmann (Heidelberg KV)
- Melis Sekmen (Mannheim KV)
- Ute Kratzmeier (Karlsruhe-Land KV)
- Bennet Müller (Aalen-Ellwangen KV)
- Marco Combosch (Heidenheim KV)
- Ella Müller (Freiburg KV)
- Julian Dietzschold (Heidelberg KV)
- David Vaulont (Freiburg KV)
Änderungsanträge
- V8-067 (LAG Europa (beschlossen am: 14.09.2019), Überweisung)