Veranstaltung: | LDK in Donaueschingen am 24./25.09.2022 |
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Tagesordnungspunkt: | V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 41. Landesdelegiertenkonferenz in Donaueschingen |
Beschlossen am: | 25.09.2022 |
Eingereicht: | 26.09.2022, 15:38 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Ausbildung für die Zukunft: Faire Ausbildungschancen und moderne berufliche Schulen
Beschlusstext
Wir erleben eine Zeitenwende, auf die es auch in unserer Bildungs- und
Arbeitsmarktpolitik mit zusätzlichen Maßnahmen zu reagieren gilt. Der wachsende
Fachkräftemangel sowie die zurückgehenden Ausbildungszahlen sind
besorgniserregende Entwicklungen, die sich über die letzten Jahre um ein
Vielfaches verschärft haben. Dem möchten wir unter anderem durch die Stärkung
eines flächendeckenden Ausbildungssystems im Land und durch gut ausgestattete,
moderne berufliche Schulen entgegenwirken.
Die duale Ausbildung als dauerhaftes Erfolgsmodell im Land verankern
Seit Jahren sinkt der Anteil der Ausbildungsbetriebe. Nur noch knapp 20% der
Betriebe in Baden-Württemberg bilden aus. Gleichzeitig sinkt auch die Zahl der
Ausbildungsbewerber*innen, die sich bei der Bundesagentur für Arbeit melden.
Aufgrund dieser Entwicklungen sieht inzwischen jedes dritte Unternehmen in BW im
Fachkräftemangel ein akutes Geschäftsrisiko. Wir möchten unser weltweit
einzigartiges und hoch angesehenes Ausbildungssystem stärken. So tragen wir zu
einer positiven Entwicklung bei der Zahl der Fachkräfte bei und sorgen für
zukunftsfeste Planungen für Betriebe und Ausbildungsinteressierte sowie
Auszubildende zugleich.
Auch aus dem Blickwinkel des gesellschaftlichen Zusammenhalts brauchen wir
dringend gut ausgebildete Fachkräfte in großer Zahl, um den großen
Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Wir brauchen gut ausgebildete
Handwerker*innen, um die Klimakrise über die Umsetzung der Photovoltaik Pflicht
oder auch die Gebäudesanierung in den Griff zu bekommen. Wir brauchen gut
ausgebildete Pflegekräfte, die Zeit und Kraft haben, sich um hilfsbedürftige
Menschen zu kümmern. Wir brauchen gut ausgebildete Erzieher*innen, um jedem Kind
faire Startchancen in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.
Wir setzen uns für ein landesweites Übergangsmanagement von der Schule in die
Arbeitswelt ein, welches berufliche Orientierung als Teil des Curriculums in
allen Schularten verankert und Sorge dafür trägt, dass alle Lehrkräfte mit
möglichst allen Ausbildungsberufen vertraut gemacht werden. Denn nur so können
sie ihre Schüler*innen dabei unterstützen, ihre Stärken in berufliche
Kompetenzen umzusetzen. Dazu gilt es auch, die Weiterbildung zur Ausbilderin
beziehungsweise zum Ausbilder zu stärken. Dadurch können wieder mehr Lehren
angeboten werden. Auch den Schüler*innen sollten mehr praktische Erfahrungen in
den Betrieben ermöglicht werden. Die Zusammenarbeit zwischen allen Schularten,
Betrieben, Kammern und der Agentur für Arbeit stärken wir weiter und gehen dabei
über einzelne Maßnahmen für Schüler*innen hinaus, hin zu einem kohärenten
Gesamtpaket für Schüler*innen, Eltern und Schulen.
Zum Oktober 2021 blieben über 10.000 Ausbildungsplätze in BW unbesetzt, obwohl
mehr als 11.000 Bewerber*innen unversorgt blieben. Das zeigt: Es gibt ein
Passungsproblem auf dem aktuellen Ausbildungsmarkt, das sich zwar durch die
Coronapandemie verschärft hat, aber schon mehrere Jahre zuvor erkennbar war.
Tausende von jungen Menschen befinden sich also entweder im Übergangssystem
zwischen Schule und Beruf, ohne in einen Berufsabschluss zu münden, oder sind
sogar nicht mehr aufzufinden. Mehr als 15% der 25-35-Jährigen haben keinen
Berufsabschluss.
Wir haben im grün-schwarzen Koalitionsvertrag deshalb eine Ausbildungsgarantie
vereinbart und möchten diese schnellstmöglich im Land umsetzen. Hierzu gilt: Es
ist erst eine Garantie, wenn junge Menschen eine direkte Perspektive auf einen
Berufsabschluss haben und nicht noch länger im Übergangssystem festhängen. Wir
prüfen, ähnlich wie es Bremen schon geprüft hat, rechtliche Möglichkeiten, um
eine umlagefinanzierte Ausbildungsgarantie in Baden-Württemberg einzuführen.
Dadurch verteilen wir die Ausbildungskosten gerecht auf viele Schultern und
geben Betrieben einen Anreiz auszubilden.
Für diejenigen, die dennoch keinen einzelnen Ausbildungsbetrieb finden,
unterstützen wir den Ausbau von Verbundausbildungen. Die überbetriebliche
Ausbildung ist dringend notwendig, damit auch die Menschen, die mehr
Unterstützung brauchen, eine Ausbildung absolvieren können. Gezielte
überbetriebliche Maßnahmen, die sicher zu einem Berufsabschluss führen, stärken
wir deshalb als Ergänzung im Rahmen der Ausbildungsgarantie. Dazu gehört auch
die Stärkung der assistierten Ausbildung, die einen erfolgreichen Abschluss der
Ausbildung durch bedarfsgerechte und individuelle Unterstützung ermöglicht.
Wir bauen die Möglichkeiten der Teilzeitausbildung in BW aus, indem wir das
Netzwerk Teilzeitausbildung auf weitere Bereiche, die über die sozialen Berufe
hinausreichen, erweitern und mit entsprechenden Mitteln ausstatten. Ziel ist
nicht, Menschen in die Teilzeitfalle zu führen. Sondern Ziel muss sein,
Teilzeitangebote für diejenigen zu schaffen, denen aufgrund familiärer oder
anderer Verpflichtungen keine Vollzeitausbildung möglich ist.
Es gilt den eingewanderten oder geflohenen Menschen, die sich selbst für eine
Berufsausbildung als Perspektive und Integration entscheiden, durch
Aufenthaltszusicherung und Chancen ein sicheres Bleiberecht zu garantieren. Die
Verbindung einer Ausbildung oder ausbildungsvorbereitenden Maßnahme mit dem
Erlernen der deutschen Sprache soll hierzu auch gestärkt werden, beispielsweise
über vermehrte Sprachangebote durch die Bundesagentur für Arbeit. Dies stärkt
auch die Betriebe, da sie dadurch verlässlich Personal einplanen können.
Als Ergänzung zu den kürzlich erhöhten BAföG-Mitteln setzen wir uns auf
Bundesebene auch für eine inflationsgerechte Erhöhung der
Mindestausbildungsvergütung ein, die über die 2020 vereinbarte jährliche
Erhöhung hinausgeht. Es gilt, die Ausbildung allen zu ermöglichen.
Berufliche Schulen fit für die Zukunft machen
Wir führen regelmäßige Ist-Stand-Abfragen und Evaluierungen in den beruflichen
Schulen ein, mit dem Ziel, die Modernisierung der Ausstattung für alle
beruflichen Schulbereiche, in denen die Ausstattung sich stets weiterentwickelt,
voranzutreiben. Beispielsweise im Handwerk und in der Elektronik sind eine
moderne Werkstättenausstattung zentral für das Lehren und Lernen aktueller
Berufsanforderungen. Um die berufliche Ausbildung allen zu ermöglichen, setzen
wir uns für den Ausbau von Übernachtungsmöglichkeiten bei überregionalen
Berufsschulen sowie der ÖPNV-Anbindungen ein.
Als Teil der Sanierungsarbeiten an Schulgebäuden nehmen wir auch die
Barrierefreiheit beruflicher Schulen verstärkt in den Blick.
Um als Lehrkraft auf die sich wandelnde Arbeitswelt reagieren zu können, sind
regelmäßige Fortbildungen und der starke Austausch mit Betrieben und
Gewerkschaften notwendig. Deswegen wollen wir diesen Austausch stärken und nach
dem Prinzip “Lebenslanges lernen” regelmäßige Fortbildungen in relevanten,
zukunftsgerichteten Bereichen wie z. B. Digitalisierung, Ressourceneffizienz,
Stärkung unserer Demokratie einführen. Dabei ist es wichtig, die Anforderungen
an Lehrkräfte in beruflichen Schulen regelmäßig neu zu betrachten und eventuelle
Anpassungen der Weiterbildungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Wir streben an, die Faktoren Mensch, Klima, Biodiversität und globale
Gerechtigkeit in die Lehr- und Bildungspläne für berufliche Schulen so
einzuarbeiten, dass die Auszubildenden nach der Ausbildung wissen, wie
nachhaltig und zukunftsfähig gewirtschaftet werden kann. Dabei schaffen
Auszubildende zusätzlich den Wissenstransfer in bestehende Unternehmen. Damit
Auszubildende für ihre Rechte als Arbeitnehmer*innen einstehen können, wollen
wir auch die Auseinandersetzung mit Gewerkschaften als
Arbeitnehmer*innenvertretung stärker in die Bildungspläne einfließen lassen.
Im Leitfaden Demokratiebildung des Landes Baden-Württemberg heißt es, junge
Menschen sollten zur Demokratie “angestiftet” werden. Gerade durch die
einzigartige Struktur von beruflichen Schulen sehen wir die große Chance, hier
Demokratie zu erleben, anstatt zu lernen. Dafür gilt es, einige Hürden zur
Teilhabe noch stärker abzubauen.
Durch das Wechseln zwischen Schule und Ausbildungsort wird zum Beispiel eine
reguläre Arbeitszeit der gewählten Schülervertreter*innen strukturell erschwert.
Hier braucht es zusätzliche Urlaubs- bzw. Schultage, um Austausche und Termine
besser wahrnehmen zu können. Des Weiteren untersuchen wir die Möglichkeit sowie
Vor- und Nachteile einer Aufwandsentschädigung oder eines kleinen Honorars für
Schülervertreter*innen.
Um Teilhabemöglichkeiten darüber hinaus allen Schüler*innen zugänglich zu
machen, sprechen wir uns für zusätzliche, verpflichtende Tage der politischen
Bildung aus. Dort sollten u. a. auch parlamentarische Demokratie, die Rolle von
alternativen Wirtschaftsmodellen, wie beispielsweise Genossenschaften, klar
erlebt werden können.
In den letzten Jahren haben wir Inklusionsmaßnahmen an den Schulen ausgebaut.
Die regionalen Arbeitsstellen Kooperation (ASKO), die an allen staatlichen
Schulämtern mit jeweils einer Vertretung für die beruflichen Schulen besetzt
sind, bilden hierfür die interne Beratungsgrundlage.
Viele Ressourcen sind allerdings zu oft nicht bekannt. Wir unterstützen das
Anliegen, eine zentrale Anlaufstelle, beispielsweise als barrierefreie Website,
mit allen relevanten Informationen rund um Inklusion an beruflichen Schulen
aufzustellen. Damit machen wir beispielsweise Autismusbeauftragte als Ressource
bekannter und zugänglicher. Im Rahmen der Stärkung des sonderpädagogischen
Dienstes an baden-württembergischen Schulen erkennen wir den Bedarf an, diesen
auch an beruflichen Schulen auszuweiten.
Für bessere Inklusion braucht es an allen beruflichen Schulen Strukturen gegen
Ableismus, Sexismus, Antisemitismus, Rassismus sowie weitere Formen von
Diskriminierung, die sich sowohl an betroffene Schüler*innen als auch an
Lehrkräfte wenden.