Veranstaltung: | LDK in Donaueschingen am 24./25.09.2022 |
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Tagesordnungspunkt: | V Sonstige Anträge und Resolutionen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 41. Landesdelegiertenkonferenz in Donaueschingen |
Beschlossen am: | 25.09.2022 |
Eingereicht: | 26.09.2022, 15:37 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Innovative Lernkultur – Unser Kompass für Bildung im 21. Jahrhundert:
Beschlusstext
Bildung ist das Fundament für die Zukunft unserer Gesellschaft. In unseren
Bildungseinrichtungen sollen alle Kinder die Chance erhalten, sich Kompetenzen,
Wissen und Haltungen anzueignen, um ein selbstbestimmtes Leben führen und an der
Gesellschaft teilhaben zu können. So wird die Basis für sozialen Zusammenhalt,
wirtschaftliche Prosperität und eine stabile Demokratie mit gelegt. Das
Bildungssystem bereitet auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft vor
und befähigt zur aktiven Mitgestaltung.
Unsere Zeit ist von rasanten Veränderungen, technologischen Disruptionen und
zunehmenden Unwägbarkeiten geprägt. Unsere Bildungsinstitutionen haben sich
nicht gleichermaßen mit der Welt um sie herum entwickelt. Über die Jahrzehnte
ist so ein Innovationsdefizit angewachsen – technologisch und pädagogisch. Der
aktuelle IQB-Bildungstrend legt offen, dass der Bildungserfolg unverändert von
der sozialen Herkunft der Jugendlichen abhängt und immer mehr Jugendliche die
Mindestanforderungen im Lesen und Rechnen nicht erreichen. Gleichzeitig droht
sich der Personalmangel weiter zu verschärfen – zu wenige junge Menschen sehen
im Bildungssystem ein spannendes Berufsfeld.
An verschiedenen Orten in Baden-Württemberg gestalten Bildungseinrichtungen und
Kollegien mit großem Engagement bereits eine innovative Lern- und Arbeitskultur.
Ein in Gänze modernes, an den Anforderungen des 21. Jahrhunderts orientiertes
Bildungssystem auszubauen, kann nur Schritt für Schritt gelingen. Wir Grüne
schlagen in Regierungsverantwortung mit dem Kultusministerium den Kurs Richtung
mehr Innovation ein. Darüber hinaus braucht es eine gesamtgesellschaftliche
Verständigung über rahmensetzende Ziele in der Bildung. Dadurch können
langfristige Weichenstellungen ermöglicht werden. Dafür greifen wir Grüne in
Baden-Württemberg auf über zehn Jahre Erfahrung mit einem Politikstil zurück,
der auf den Dialog mit Stakeholdern, Wissenschaft und Bürger*innen setzt und
dabei Instrumente wie bspw. Strategiedialoge, Enquetekommissionen oder
Bürgerräte nutzt. Diese dialog-orientierte Politik des Gehörtwerdens wollen wir
fortentwickeln und ausbauen.
Leistungsentwicklung, Bildungsgerechtigkeit und Wohlbefinden – Werte, die uns
Halt geben:
Wir wollen Bildung so gestalten, dass alle Kinder die Chance haben, ihr eigenes
Leistungspotential voll auszuschöpfen – unabhängig von ihrer sozialen und
kulturellen Herkunft und unabhängig ihres Geschlechts. Für uns Grüne passt
zwischen Leistungsentwicklung und Bildungsgerechtigkeit deshalb kein „Oder“,
sondern nur ein „Und“. Leistung ist für uns die individuelle Entwicklung aller
Lernenden und nicht der soziale Vergleich. Als drittes Erfolgskriterium kommt in
international führenden Bildungssystemen die Orientierung am Wohlbefinden der
Kinder und der im Bildungssystem beschäftigen Fachkräfte hinzu. An diesen drei
miteinander verschränkten Zieldimensionen richten wir die Grüne uns aus.
In der Entwicklung des Bildungssystems in Baden-Württemberg setzen wir auf
wissenschaftliche Evidenz und eine Orientierung an international führenden
Bildungsnationen. Wir wollen in der Bildungspraxis Qualitätsstandards
flächendeckend etablieren. Die Basis hierfür legen wir Grüne in
Regierungsverantwortung mit dem neuen und in einem breiten Dialog von
Wissenschaft und Praxis entwickelten „Referenzrahmen Schulqualität“. Eine
datenschutzkonforme Digitalisierung ermöglicht eine innovative Lern- und
Prüfungskultur sowie die datengestützte Entwicklung von Schule. Wir wollen die
Digitalisierung im Bildungssystem so gestalten, dass diese Potentiale genutzt
werden. Gleichzeitig liegt der Fokus auf dem Ausbau der souveränen
Gestaltungsfähigkeit von digitaler Zukunft - bei jungen Menschen wie auch beim
Personal in Schule und Kultusverwaltung. Dafür gilt es die infrastrukturellen,
finanziellen und personellen Voraussetzungen der Digitalisierung an Schulen und
frühkindlichen Bildungseinrichtungen zu stärken und verstetigen.
Eine moderne, leistungsstarke Schule baut auf einer qualitätsvollen
frühkindlichen Bildung in Kita, Krippe und Kindergarten auf. Denn dort wird die
Grundlage für Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung gelegt. Auch hier wollen
wir uns, auch angesichts des Fachkräftemangels, an international führenden
Standards der Qualität, der Organisations- und Personalentwicklung orientieren.
Dafür wird der Orientierungsplan – der Bildungsplan der Kitas – gegenwärtig in
einer breiten Beteiligung weiterentwickelt.
Um junge Menschen darauf vorzubereiten, die Herausforderungen unserer Zeit
anzugehen, sind Demokratiebildung - inklusive einer „Digital Literacy“ und
Medienkompetenz - sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung unerlässlich. All
dies bedarf einer flächendeckenden ethischen Grundbildung.
Innovative Lern- und Prüfungskultur – Orientierung an den Anforderungen des 21.
Jahrhunderts:
Die Megatrends unserer Zeit haben zur Folge, dass sich die erforderlichen
Kompetenzen und Wissen für ein selbstbestimmtes Leben verändern. So wächst
beispielsweise die Bedeutung der Fähigkeit, Informationen einordnen, bewerten
und als Wissen anwenden zu können, Daten und Fakten bloß wiederzugeben, reicht
nicht mehr aus. Und angesichts sich fortwährend wandelnder Berufsfelder ist es
entscheidend, eigene Lernprozesse eigenverantwortlich planen zu können.
Zeitgemäßes Lernen sollte so gestaltet sein, dass die international anerkannten
„Future Skills“ – Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration –
und damit auch Charakterbildung und Bürgersinn gestärkt werden. Dafür ist eine
neue Balance aus instruktionsorientiertem Unterricht und Phasen des
selbstorganisierten Lernens erforderlich. Eine Lernkultur, die eine neue Balance
aus fachspezifischem Unterricht und fächerübergreifender Projektarbeit findet.
Dabei erfahren die Lernenden Selbstwirksamkeit: sie können mit dem Wissen etwas
anfangen und es aktiv für sich nutzen. Wir Grüne wollen ein solches „Deeper
Learning“ an den Schulen in Baden-Württemberg unterstützen. Ein Mittel hierfür
ist, neue Prüfungsformate zu ermöglichen, die stärker Kreativität und
Problemlösefähigkeit erfordern und die vorhandenen technologischen Möglichkeiten
– bspw. durch die Einbindung digitaler Medien – nutzen.
Lernen, das auf die Future Skills ausgerichtet ist, baut darauf auf, dass die
Lernenden über gute Basiskompetenzen im Umgang mit Texten („Literacy“) und
Mathematik („Numeracy“) verfügen. Wir wollen Förderroutinen aufbauen, um
sicherzustellen, dass alle Schüler*innen die Mindestanforderungen vor dem
Hintergrund ihrer individuellen Möglichkeiten erreichen.
Wir möchten Leistungsrückmeldungen stärker als Instrument zur Lernförderung
nutzen. Leistungsrückmeldungen müssen früh und differenziert erfolgen, als
Grundlage für passgenaue Unterstützungsangebote. Hierbei wollen wir auch den
Einsatz digitaler Werkzeuge zur Leistungsdiagnostik und -rückmeldung ausbauen.
Eine neue Lernkultur unterstützt das gemeinsame Lernen in allen
Bildungseinrichtungen und Schularten – in inklusiven Settings und auf
verschiedenen Leistungsniveaus. In ganz Baden-Württemberg möchten wir für alle
Kinder einen guten Zugang zu Schulen des gemeinsamen Lernens sicherstellen. Die
Öffnung der Schule für außerschulische Akteure ermöglicht eine vielfältige Lern-
und Erfahrungswelt.
Weiterentwicklung und Kooperation – Bildung als attraktives Berufsfeld
gestalten:
Um ausreichend Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft zu halten, müssen Schulen
und frühkindliche Bildungseinrichtungen als modernes attraktives Arbeitsumfeld
gestaltet werden. Hierfür gilt es, mit geeigneten Rahmenbedingungen, die
Kooperation zwischen den Pädagog*innen als selbstverständlichen Teil ihrer
Berufsbilder zu etablieren, da diese den größten Effekt auf den Lernerfolg von
Lernenden hat – und dieser ist motivierender Antrieb für Pädagog*innen. Auch in
multiprofessionellen Kollegien und mit außerschulischen Partnern arbeiten
Pädagog*innen in Teams. Zudem wollen wir transparente Aufstiegspfade und eine
professionelle Personalentwicklung für Lehrkräfte, in der Leistung wertgeschätzt
wird und Aus-, Fort- und Weiterbildung auf höchstem Niveau stattfinden. Die
Professionalisierung von Pädagog*innen auf dem Gebiet des Digitalen Lehrens und
Lernens wollen wir in Ausbildung, Studium, Referendariat und Fortbildungen
stärken. Indem die Einbindung digitaler Innovationen an den Schulen und
frühkindlichen Bildungseinrichtungen zur Normalität wird, stärken wir die
Attraktivität dieser Berufe für junge Menschen. Durch eine engere Verzahnung von
theoretischen und praktischen Anteilen der Lehramtsausbildung wollen wir mehr
junge Menschen dafür gewinnen, den Lehramtsberuf zu ergreifen.
Ein innovatives Bildungssystem aufzubauen ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die
eine professionelle Mitwirkung und Einbindung aller Beteiligten erfordert. Wir
sehen die Leitungen von Schule und frühkindlichen Bildungseinrichtungen als
entscheidenden Motor der Organisations- und Qualitätsentwicklung. Daher setzen
wir uns dafür ein, dass alle Leitungen hierfür passende Aus- und Fortbildungen,
sowie genügend Leitungszeit und effektive Teamstrukturen mit angemessenen
Entlastungen erhalten.
Fortwährende Weiterentwicklung brauchen wir nicht nur auf der Ebene der
einzelnen Lehrkraft. Wir wollen auf allen Ebenen ein Verständnis des
Bildungssystems als lernendes System verankern. Dabei sollen Daten zur
Schulentwicklung genutzt und die entwicklungsorientierte Zusammenarbeit von
Schulen untereinander und mit der Schulaufsicht weiterentwickelt werden.
Ein attraktives Arbeitsumfeld benötigt ausreichend Zeit- und Personalressourcen.
Dafür brauchen wir neben der vom Kultusministerium verstärkt geschaffenen
Möglichkeiten zum Quereinstieg sowie zur arbeitsbegleitenden Weiterbildung auch
einen zielgerichteten Einsatz von Ressourcen. Auch daran arbeitet das Grün
geführte Kultusministerium. Durch Innovationen in der Lern- und Prüfungskultur –
beispielsweise durch den verstärkten Einsatz digitaler Diagnostik – können
Lehrkräfte zudem Zeit gewinnen, die für ihre Arbeit mit den Lernenden sowie für
außerunterrichtliche Aufgaben genutzt werden kann. Grundlage für diese
Entwicklungen ist eine auskömmliche Finanzierung des Bildungssystems. Wie
internationale Beispiele – etwa Kanada – zeigen, lohnen sich Investitionen in
die Bildungschancen junger Menschen und können zu langfristig geringeren
Finanzbedarfen der sozialen Sicherungssysteme beitragen.
Wir gestalten Innovation im Bildungssystem schon heute.
In Regierungsverantwortung gehen wir Grüne Schritte auf dem Weg zu einer
innovativen Lern- und Prüfungskultur an Schulen. Zum Schuljahr 2022/2023 startet
an 37 Grundschulen der Modellversuch „leistungsförderliche
Leistungsrückmeldung“. Der Einstieg in die sozialindexbasierte
Ressourcenzuweisung und die Arbeit in multiprofessionellen Teams an Pilotschulen
werden vorbereitet.