Im Jahr 2015 wurde in Paris von 197 Staaten ein globales Klimaschutzabkommen unterzeichnet, das eine Verpflichtung der Beschränkung der Erderwärmung auf deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau vorsieht und damit das globale Ziel fasst, irrreversible und verheerende Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern. (1)
Um diese Auswirkungen für Mensch, Natur und Wirtschaft einigermaßen erträglich zu gestalten, bedarf es einer weltweite Klimaneutralität bis spätestens im Jahre 2050. Oder anders ausgedrückt: Global gesehen dürfen noch zwischen 600- 800 Gigatonnen CO2 bis zum Jahr 2050 emittiert werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.(2) Je schneller Staaten, Länder, Landkreise und Städte ihre Anstrengungen in der CO2 Reduktion vervielfachen, desto wahrscheinlicher wird es sein, dass diese Ziele erreichbar bleiben.
Deutschland als reichem Industrieland und ganz besonders dem wirtschaftsstarken Baden- Württemberg kommt dabei als Innovationstreiber und Vorbild eine ganz besondere Verantwortung zu.
Laut dem aktuelle Klimaschutzbericht 2018 (3) verfehlt Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2020 aber deutlich. Statt der angestrebten 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 beträgt die Verringerung der Emissionen in Deutschland demnach lediglich etwa 32 Prozent. Auch Baden-Württemberg verfehlt seine Klimaziele für 2020 deutlich (4) - und ob die 2030er Ziele überhaupt eingehalten werden können, erscheint zumindest fraglich (5).
Nachdem auch der Sommer 2019 einen - in Bezug auf die globale CO2 Konzentration - beängstigenden Verlauf zeigt und weltweit Forscher überrascht sind, wie schnell sich die Lage v.a. in der Arktis mit ihren Waldbränden zuspitzt(6) - müssen Wissenschaftler gleichzeitig zugeben, dass diese CO2 Emissionen noch gar nicht in die aktuell gültigen Prognosen eingerechnet sind. Allein die 2019er Brände in der Arktis verursachen C02 Emissionen, die dem Jahresausstoß von Schweden entsprechen (7). Das kann aber nur bedeuten, dass bestehende Klimaziele absolut dringend einzuhalten sind oder sogar noch ambitionierter formuliert werden müssen - und dass daraus abgeleitete Maßnahmen nochmals bzgl. ihrer Zielverträglichkeit überprüft werden müssen.
Wir begrüßen, dass der Leitantrag hier die Vorbildrolle der Verwaltungen sieht, die bis 2030 klimaneutral sein sollen.
Die Umsetzung der oben genannten – auch ambitionierteren - Klimaziele wird aber nur mit Hilfe des Bewusstseins der breiten Bevölkerung funktionieren: Denn warum sollte ich mir z.B. ein Elektroauto kaufen, mein Haus ökologisch bauen oder sanieren, meinen Betrieb in seinen Bemühungen im Bereich Nachhaltigkeit unterstützen - wenn ich mir nicht um den Ernst der Lage bewusst bin und deshalb auch Mehrkosten oder Mehraufwände bereit bin einzugehen. Einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung zu bewirken, bedeutet aber auch: Den Menschen ehrlich zu kommunizieren, dass sich unser Lebenswandel, unsere Konsum- und Mobilitätsansprüche radikal ändern müssen, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Denn die Lösung der Klimakrise kann nicht mehr nur mit einer Steigerung der Effizienz erreicht werden.
Wir brauchen ein neues Verständnis und Verantwortungsbewusstsein für die individuelle Lebensführung und „persönliche Freiheiten“. (8) Auch die Notwendigkeit von Verzicht und Selbstbeschränkung – Stichwort „Suffizienz“ wollen wir kommunizieren, denn: Es gibt „kein Menschenrecht auf ökologische Zerstörung“(9). Wir Grüne als ökologische Partei und als Partei, die für globale Gerechtigkeit eintritt, haben die Pflicht, auch diesen Aspekt offen anzusprechen. Ohne diesen Bewusstseinswandel besteht das Risiko, dass nach Einführung einer CO2 Bepreisung eine ähnliche Reaktion wie die der Gelbwesten in Frankreich stattfindet.
Bestrebungen in der Industrie, die Entschlossenheit beim Handeln für einen konsequenten Umgang mit der Klimakrise zu unterlaufen, sind nicht zu unterschätzen. So hat z.B. die INSM vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall ihre 12 Fakten zur Klimapolitik veröffentlicht (10). Die Autoren verabschieden sich hier vom 1,5 Grad des Pariser Abkommens und stellen sich gegen `nationale Alleingänge und eine CO2 Steuer´. Die Intention dahinter scheint zu sein, dass sich Klimaschutz den Interessen der Industrie unterzuordnen hat. Hier wird die große Chance vertan, dass Teile der Industrie Klimaschutz endlich als wichtigen Standortfaktor und Wettbewerbsvorteil verstehen. Auch darüber muss die Bevölkerung aufgeklärt werden, sonst passiert die Ausgestaltung eines zukünftigen bundesweiten Klimaschutzgesetz wieder auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Fazit:
Vor den o.g. Hintergrund erscheint es uns dringend angebracht, dass auch Baden- Württemberg den Klimanotstand oder eine `Erklärung des klimatischen Notfalls´ ausruft. Mit diesem Statement - so wie dieses auch schon in mehreren Staaten, Städten und Landkreisen verkündet wurde(11) - bezieht auch das Land Baden Württemberg öffentlich Stellung, und bekräftigt, dass die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegendsten Folgen eine Aufgabe von allerhöchster Priorität ist.
Gleichzeitig erkennen wir an, dass die bisherigen Maßnahmen auf Landesebene nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen: Wir müssen und wollen mehr tun!
Diese Ausrufung des Klimanotstandes oder eine `Erklärung des klimatischen Notfalls´ soll dabei auch als Signal nach Berlin und Brüssel gelten: Ein einzelnes Bundesland wird in seiner Handlungsfähigkeit beschränkt, wenn nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen auf Bundes- und EU Ebene gegeben sind. Dies können und wollen wir nicht akzeptieren.
Die Schlussworte des Leitantrags machen es deutlich – das Bewusstmachen der Klimakrise kann neue Chancen für die Menschheit und Innovationsschübe auslösen! Neue Perspektiven sind für jede*n Einzelne*n und für Industrie und Handwerk möglich. Vorbilder gibt es schon genug in Baden Württemberg! (12)
Deshalb: Lasst uns über ein ehrliches Statement zur Klimakrise diese notwendigen Veränderungen anstoßen und schnellstens auf den Weg bringen!
(1)https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Industrie/klimaschutz-abkommen-von-paris.html
(2)https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/koennen-wir-die-globale-erwaermung-rechtzeitig-stoppen/
(7) https://de.euronews.com/2019/07/16/waldbrande-in-der-arktis-sorgen-fur-hohe-emissionen
(8) https://www.faz.net/aktuell/wissen/reaktionen-auf-ipcc-bericht-die-lage-ist-kritisch-16323614.html
(9) https://taz.de/Nachhaltigkeit-und-Klimapolitik/!5609132/
(10) https://www.insm.de/insm/kampagne/klimaschutz/12-fakten-zur-klimapolitik.html
https://volker-quaschning.de/artikel/Fakten-INSM/index.php
(11) https://www.klimabuendnis-hamm.de/klimanotstand-in-jedem-rathaus/
Kommentare
Natalie Rapka:
Mich irritiert dieser Absatz. Was wollt ihr damit erreichen?
Ich finde, mit dem "Klimanotstand" ist man doch hoffentlich längst im gesellschaftlichen Dialog!
Ansonsten alles gut, ich werde den Antrag unterstützen.
Svenja Gensow:
Prima, dass du ihn auch unterstützen willst. :)
Harry Schwarz:
Das wir den Klimawandel haben, dass wissen wir, das wissen die meisten. Aber wir müssen etwas tun, und das schnell, unbürokratisch und ohne Tabus. Es geht um das Leben auf der Erde vor allem für unsere Kinder und Enkel. Die werden uns Fragen, liebe Eltern, liebe Großeltern, was habt Ihr getan. Es darf keine Tabus geben. Wir brauchen Windkraft vor Ort, auch wenn das manchen Leuten nicht gefällt. Wir brauchen emissionsfreie Autos, aber auch einen besseren ÖPNV. Wir brauchen eine gesunde Kreislaufwirtschaft. Unsere Gebäude müssen klimaneutral werden. Das alles brauchen wir schnell und mit guten Konzepten.
Dafür ist ein Klimanotstand oder eine Notsituation genau die richtige Bezeichnung.
Der Klimawandel kommt schleichend, aber wenn wir 40 °C haben, dann müssen wir etwas tun, sonst ist unsere Erde bald am Ende
Harry Schwarz:
Es steht um die Erde schlimmer, als wir denken. Es passiert viel zu wenig, besser gesagt fast gar nichts. Wir steuern auf eine Erderwärmung zu, die bei etwa 3,5 °C ankommen wird.
Selbst wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen, steigt der Meeresspiegel um 6 m bis zum Ende dieses Jahrtausends. Wir würden gut 1,15 Mrd. km² Land verlieren, auf dem heute 375 Mill. Menschen leben.
Selbst wenn man von einem „mittelniedrigen“ Anstieg ausgeht, könnte die Ostküste der USA jeden zweiten Tag ein Hochwasser erleben.
2017 kosteten die Überschwemmungen in Südasien 1200 Menschen das Leben und setzten zwei Drittel von Bangladesch unter Wasser, Antonio Guterres, der Generalsekretär der UN, schätzte, das 41 Mill. Menschen davon betroffen waren.
Im Augenblick wird mehr als ein Viertel des Kohlendioxids, das der Mensch ausstößt, von den Meeren geschluckt, ebenso wie 90 Prozent der überschüssigen Wärme, die in den letzten 50 Jahren durch den Klimawandel entstanden ist. Die Hälfte dieser Wärme ist seit 1997 absorbiert worden, und heute transportieren die Ozeane mindestens 15 Prozent mehr Wärmeenergie als noch im Jahr 2000 – sie haben allein in diesen zwei Jahrzenten dreimal mehr Energie aufgenommen, als alle fossilen Brennstoffe der Erde enthalten.
Doch dieses zusätzliche Kohlendioxid, das im Wasser gelöst ist, führt zu sogenannten „Versauerung der Meere“.
Diese Versauerung hat ganz gravierende Auswirkungen auf das Ökosystem der Meere.
Wir leben in einem Zeitalter des Massensterbens auf der Erde. Im Verlauf der letzten 50 Jahre hat sich die Menge des Meerwassers, in dem keinerlei Sauerstoff zu finden ist, weltweit vervierfacht, es gibt insgesamt 400 solcher umgekippter „Todeszonen“. Die sauerstofflosen Bereiche sind um mehrere Millionen km² angewachsen, grob um die Fläche Europas, und in Hunderten von Küstenstädten breitet sich nun der Gestank einer sauerstoffarmen Brühe aus.
Beispiele hierfür sind die Todeszonen im Arabischen Meer – diese ist so groß wie Florida. Im Golf von Mexiko existiert eine große Todeszone, auch an der Küste von Namibia gibt es einen Streifen von ca. 1500 km, wo ein Gestank von Schwefelwasserstoff aufsteigt.
Es war lange überaus sicher, dass der antarktische Eisschild stabil bleiben würde. Das war bis zum Jahr 2015. Im gleichen Jahr fand die NASA heraus, dass diese Annahme hoffnungslos vermessen war. Verschiedene Untersuchungen gegen davon aus, dass sich die Schmelzgeschwindigkeit des antarktischen Eisschilds allein im letzten Jahrzehnt verdreifacht hat. Zwischen 1992 und 1997 schrumpfte der Schild jedes Jahr um 49 Mrd. Tonnen Eis, zwischen 2012 und 2017 waren es 219 Mrd. Tonnen.
Es sind nur einige Beispiele, wie weit schon der Klimawandel unsere Erde verändert hat:
Dürre, Hunger, Ertrinken, sterbende Meere. Das sind nur einige Beispiele, wie schlimm es wirklich aussieht.
Was passiert durch ständigen Kohlendioxidausstoß?
Vielleicht etwas drastisch formuliert:
Es gibt mittlerer Weile ein gutes Bild über die Klimageschichte unseres Planeten, allerdings hat es noch niemals eine derart schnelle Erwärmung gegeben. Laut einer Schätzung zehnmal schneller als zu einem anderen Zeitpunkt in den letzten 66 Mill. Jahren.
Der jährliche CO2 Ausstoß des durchschnittlichen Amerikaners reicht aus, um 10000 Tonnen Eis des antarktischen Eisschildes schmelzen zu lassen – genug, um den Ozeanen 10000 m³ Wasser hinzuzufügen. Das sind pro Minute 19 Liter.
Wir sind alle verpflichtet diese Situation unseren Mitmenschen nahezubringen.
Literaturangaben:
Die unbewohnbare Erde- Leben nach der Erderwärmung von David Wallace-Wells